Kartendienst für Brownfields: Wie Künstliche Intelligenz Industriebrachen sichtbar macht
Deutschland kämpft mit zunehmender Flächenknappheit, vor allem in den Ballungsräumen. Ein zentraler Lösungsansatz für dieses Problem sind Brownfields. Um die stillgelegten Industrieflächen bundesweit ausfindig zu machen, hat der Deutsche Brownfield-Verband (DEBV) ein Brownfield-Kataster entwickelt, das diese mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) systematisch erfasst. Auf einer interaktiven Karte zeigt das KI-Kataster Investoren und Kommunen nachhaltige Potenziale für neue Gewerbeprojekte auf. Panattoni hat diese Innovation gemeinsam mit einer Reihe von weiteren Sponsoren möglich gemacht.
Brownfields als Schlüssel für eine nachhaltige Flächenentwicklung
Durch die fortschreitende Urbanisierung, den steigenden Bedarf an Wohn- und Gewerbeflächen sowie den zunehmenden Schutz von Grünflächen werden unbebaute Flächen in vielen Regionen Deutschlands knapp. Zudem hat die Politik das Flächenverbrauchsziel „Netto Null bis 2050“ vorgegeben, um Grünflächen wirksam vor Neuversiegelung zu schützen. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach Logistik- und Industrieflächen ungebrochen hoch.
Eine vielversprechende Lösung für dieses Problem mit hohem Nachhaltigkeitswert ist die Revitalisierung und Sanierung von Brownfields. Ehemalige Industrie- oder Gewerbeflächen, die entweder brach liegen oder nur noch teilweise genutzt werden, sind meist zentral gelegen und verfügen über eine bereits vorhandene Infrastruktur. Solche brachliegenden Bestandsflächen bieten:
- oft zentrumsnahe, gut erschlossene Areale
- die Möglichkeit, vorhandene Ressourcen effizient zu nutzen
- eine nachhaltige Alternative zur Versiegelung von Grünflächen
- die Chance, Altlasten verantwortungsvoll und ohne Kosten für die Kommune zu beseitigen
- vor dem Hintergrund des angestrebten Netto-Null-Flächenverbrauchs bis 2050 die einzige lokale Möglichkeit, nutzbare Flächen für Gewerbeimmobilien zur Verfügung zu stellen.
Durch die Revitalisierung von Brownfields lässt sich der Bedarf an Industrie- und Logistikflächen in Deutschland besser decken. Bei der Umsetzung gibt es jedoch häufig ein signifikantes Problem: Das Wissen darüber, wo und wie viele solcher Brachflächen existieren und ob mit Altlasten zu rechnen ist, ist regional sehr unterschiedlich verteilt. Während einige Kommunen einen detaillierten Überblick über vorhandene Brachflächen haben, gibt es in anderen Regionen keine öffentlich zugänglichen Informationen.
Um herauszufinden, wie viel Flächenpotenzial wo vorhanden ist, hat der DEBV in Kooperation mit dem Fraunhofer IIS und der Spacedatists GmbH das Projekt ARGOS ins Leben gerufen – mit dem Ziel, ein deutschlandweites Brownfield-Kataster zu erstellen. Panattoni war von Anfang an als Sponsor an der Entwicklung beteiligt und hat in dieser Rolle aktiv an der Erstellung mitgewirkt. Über einen Zeitraum von zwei Jahren hat Panattoni in regelmäßigen Abstimmungstelefonaten und zwei persönlichen Treffen mit allen Projektbeteiligten seine Expertise aus der Immobilienentwicklung eingebracht und die Entwicklungen des Brownfield-Katasters fachkundig kommentiert.
Vom Satellitenbild zum Standortpotenzial
Der Projektname ist Programm: ARGOS steht für „Aufklärung von Reaktivierbaren Gewerbeflächen mittels Optisch-basierter Systeme“. Methodischer Kern von ARGOS ist ein für die Bildauswertung entwickeltes und mit Flurstücken trainiertes neuronales Netz.
Das Gesamtkonzept wurde über zwei Jahre lang intensiv entwickelt und umfasst folgende Schritte:
- Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie untersuchten die Projektbeteiligten zunächst, inwieweit eine luftbildgestützte Erfassung von Brachflächen technisch möglich ist. Dazu wurden bundesweit verfügbare Daten gesammelt und aufbereitet.
- Nach dem Proof of Concept folgte die Umsetzung des Forschungsvorhabens. Durch die methodische Erweiterung der Flächenbewertung und die Ergänzung um Zeitreihenaufnahmen sowie nicht-visuelle Datensätze erstellte das Projektteam ein umfassendes Potenzialflächenkataster. Die KI wurde darauf trainiert, Brownfields anhand umfangreicher Kriterien wie beispielsweise Vegetationsbestand, vorhandene Gleisflächen oder Keilmauern zu erkennen.
- Um die Theorie in die Praxis umzusetzen, haben der DEBV, das Fraunhofer IIS und die Spacedatists die Daten in eine nutzerorientierte Plattform überführt. Mit dieser Lösung können User umfassende räumliche Informationen über Brachflächen abrufen und diese als Grundlage für eine mögliche Nachnutzung verwenden.
Mit Hilfe der KI wurden die brachliegenden Industrie- und Gewerbeflächen in Deutschland flächendeckend und vollautomatisch erfasst. Möglich wird dies durch die kombinierte Nutzung von GIS-Basisdaten und Satellitenbildern. Im Laufe der Projektentwicklung wurden zusätzlich Infrarotbilder integriert, um eine noch höhere Ergebnisgenauigkeit zu erreichen.
Nach der Auswertung erfolgt eine Einstufung der Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei der betrachteten Rasterzelle um eine Brachfläche handelt. Dabei greift die KI unter anderem auf optische Marker zurück und bewertet anhand von Bewegungspotenzialen aus, ob eine Fläche aktiv genutzt wird.
Im automatisierten Kataster wurden über 600.000 Flurstücke analysiert. Auf der Plattform können die Flächen in die Kategorien von „mittlere Brownfield-Ähnlichkeit“ bis „sehr hohe Brownfield-Ähnlichkeit“ eingeteilt werden.
Rund 40.000 Flächen wurden mit einer moderaten Brownfield-Wahrscheinlichkeit klassifiziert, rund 6.200 Flächen sogar mit einer sehr hohen Brownfield-Wahrscheinlichkeit. Diese enorme Menge von 350 Millionen Quadratmetern gewerblicher Potenzialflächen wird in der interaktiven Karte des Brownfield-Katasters dargestellt. Die Suche kann nach Lage, Größe und Brownfield-Wahrscheinlichkeit gefiltert werden. Die Nutzer der Plattform erhalten so einen aktuellen Überblick über potenzielle Standortoptionen für geplante Gewerbeimmobilienprojekte. Im Vergleich zu einer manuellen Bewertung der in Frage kommenden Flächen ermöglicht das Brownfield-Kataster eine enorme Zeit- und Kostenersparnis.
Eine Karte der Potenziale: ideale Grundlage für nachhaltige Flächenentwicklung
Das Brownfield-Kataster ist Teil einer klaren Vision: „Wir wollen die Rahmenbedingungen für Brownfield-Entwicklungen praxisnah mitgestalten, indem wir der Politik praktikable und umsetzbare Lösungen aufzeigen“, sagt Raphael Thießen, Geschäftsführer des Deutschen Brownfield Verbands. „Die Verfügbarkeit von Flächen ist einer der wichtigsten Standortfaktoren für großflächige Neuansiedlungen. Mit dem KI-gestützten Brownfield-Kataster leisten wir einen wertvollen Beitrag zur Lösung der akuten Flächenknappheit in Ballungsräumen.“
350.000 Euro wurden in die Entwicklung des Brownfield-Katasters investiert. Ende März 2024 wurde das Projekt ARGOS abgeschlossen. Die Ergebnisse stellten der DEBV, das Fraunhofer IIS und Spacedatists zunächst den Projektpartnern zur Verfügung. Darüber hinaus konnten die Förderer – darunter unter anderem Panattoni, Fiege, Goldbeck, Hagedorn, Lidl und zalando – ihre Erfahrungen aus der beruflichen Praxis in die Entwicklungs- und Testphase der Brownfield-Plattform einbringen. So wurde die Praxisrelevanz der gewonnenen Daten sichergestellt.
Auf der diesjährigen Expo.Real wurden die Projektergebnisse und die Brownfield-Plattform einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Weitere Mitglieder des DEBV können sich nun registrieren, um die ausgewerteten Informationen einzusehen. Die monetären Einnahmen aus dem Nutzungsmodell werden für den operativen Betrieb und die jährliche Aktualisierung der Plattform verwendet. Überschüsse kommen dem DEBV zugute.
Das Kataster bietet Projektentwicklern eine ideale Grundlage für eine nachhaltige Flächennutzung. Dabei zeigt die Karte die Flächenpotenziale auf, stellt jedoch keine automatische Verbindung zu den Eigentümern her. Wer sich für eine potenzielle Brachfläche interessiert, kann diese in der interaktiven Karte vormerken, muss sich aber selbst über die Verfügbarkeit informieren und den Kontakt für einen möglichen Kaufabschluss herstellen. Das Brownfield-Kataster funktioniert damit wie ein Kartendienst für Industriebrachen. Es bietet Orientierung und zeigt mögliche Revitalisierungsflächen an, das Steuer muss der Nutzer jedoch selbst in die Hand nehmen.
Grundstein zur Erreichung des Flächenverbrauchsziels Netto-Null
Die Initiatoren und Förderer des Projektes sind sich einig: Das Brownfield-Kataster ist ein wichtiges Instrument für die nachhaltige Bereitstellung weiterer Logistik-, Industrie- und Gewerbeflächen. „Da Nachhaltigkeit bei unseren Entwicklungen eine zentrale Rolle spielt, sind die meisten unserer Projekte bereits Brownfield-Revitalisierungen“, sagt Fred-Markus Bohne, Managing Partner von Panattoni Deutschland und Österreich. „Daher haben wir die Relevanz des KI-gestützten Tools zur Erfassung von Brachflächenpotenzialen sofort erkannt und die Entwicklung gerne unterstützt. Das Potenzialflächenkataster wird Projektentwickler und Kommunen maßgeblich dabei unterstützen, brachliegende Potenziale gewinnbringend zu nutzen und das Flächenverbrauchsziel Netto-Null bis 2050 zu erreichen.“
Sie nehmen das Thema nachhaltige Flächenentwicklung ernst? Dann erfahren Sie hier, welche Flächenpotenziale für Ihr Projekt in Frage kommen: www.brownfieldkataster.de